Bergen-Belsen

Als die britische Armee am 15. April 1945 das sogenannte "Aufenthaltslager" Bergen-Belsen befreite, bot sich ihnen ein Bild des Grauens. Überall lagen Leichen herum, der Gesundheitszustand der noch lebenden Menschen war verheerend. Die damals aufgenommenen Foto- und Filmdokumente gingen um die Welt und wurden zum Beispiel für die faschistischen Verbrechen aus rasseideologischen Gründen. Der Name Bergen-Belsen steht "für die schlimmsten Greuel und die unmenschliche Barbarei des nationalsozialistischen Konzentrationslagersystems". [Kolb 1988, S. 9. Es ist wohl klar, daß auf wenigen Seiten nur eine grobe Skizze gezeichnet werden kann; deshalb an dieser Stelle der Hinweis auf andere Fußnoten bzw. die Literangaben am Schluß des Artikels.]

Ungeheuerlich ist der Umgang mit diesem "dunklen Kapitel deutscher Geschichte" (nicht nur) vor Ort, nur folgerichtig die aktuellen lokalpolitischen Parallelen: Nach der bis an Leugnung grenzenden Verdrängung der national"sozialistischen" Verbrechen der Deutschen betrieben Provinzpolitiker(Inn en) zuletzt im diesjährigen Kommunalwahlkampf wieder einmal unverblümt rassistische Hetze. Gleichzeitig und in (seitens der etablierteren Parteien noch zurückhaltender) Zusammenarbeit bauen FaschistInnen mit unverhohlener Sympathie und tatkräftiger Unterstützung der Bevölkerung ihre Strukturen aus, sowohl parlamentarisch als auch außerparlamentarisch.

"Kein typisches Konzentrationslager" [Kolb 1962, S. 10, 18]
In BB ging es - nachdem es zunächst Kriegsgefangenenlager für sowjetische Soldaten war - zu Beginn nicht um die Massenvernichtung von JüdInnen, auch später wurden dafür keine Anlagen geschaffen. Die meisten der rund mindestens 80.000 Opfer - davon mindestens 30.000 sowjetische Kriegsgefangene - des Lagers starb an Krankheiten, Epidemien oder Hunger. Besonders im Jahr 1945, als BB Bestimmungsort großer "Evakuierungstransporte" aus den Lagern im Osten war.
Bergen-Belsen war "kein typisches Konzentrationslager" [hierzu bis zum Abschnitt "Ein Teil des Kriegsgefangenenlagers wird zum 'Aufenthaltslager'. (..)": Keller in Nolte 1992, S. 111ff. und NLzpB 1991], wie es beispielsweise Buchenwald und Dachau gewesen sind. Bergen-Belsen war auch kein typisches Vernichtungslager wie Treblinka, Auschwitz, Sobibor. Vielmehr entstand Bergen-Belsen 1943 als "Aufenthaltslager" für einige wenige JüdInnen, die vom Auswärtigen Amt und dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) zu Austauschzwecken gebraucht werden konnten. D.h., nur Ausnahmefälle kamen nach Bergen-Belsen, eine "minimal kleine Zahl".

Vorgeschichte des "Aufenthaltslagers"
Von 1936 bis 1941 war das Lager Unterkunft für Bauarbeiter, die Kasernen auf dem neu eingerichteten Truppenübungsplatz Bergen errichten sollten. 1940/41 wurde ein "Kriegsgefangenen Bau- und Arbeiterbataillon" mit 600 französischen und belgischen Soldaten dort untergebracht. Im Frühjahr 1941 schließlich wird Bergen-Belsen zum Standort eines Lagers für sowjetische Kriegsgefangene bestimmt mit der Bezeichnung "Stalag XI C (311)" ("Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager"). Im Mai 1941 begann die Räumung des Lagers und die Erweiterung um eine große umzäunte Freifläche. Die vorhandenen Unterkünfte wurden in ein Lazarett umgewandelt. "Stalag XI C/311" soll bis zu 20.000 Gefangene aufnehmen.

Die "Russenlager"
Zielorte für im Zuge des "Rußlandfeldzuges" in deutsche Gefangenschaft geratene sowjetische Soldaten waren die sog. "Russenlager" im deutschen Reich. Neben BB befanden sich insgesamt drei dieser "Russenlager" in der Lüneburger Heide bzw. Nordwest-Deutschland.
Die beiden anderen "Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager" lagen in Wietzendorf sowie Oerbke. (Im Stalag XI B Fallingbostel waren sowjetische Kriegsgefangene nur in einem abgetrennten Teilbereich untergebracht.) Vorgesehen waren sie für jeweils 20-50.000 Gefangene, von denen die ersten bereits im Juli 1941 - in Güterwaggons gepfercht - an ihrem Bestimmungsort ankamen. Bis November 1941 waren es mehr als 100.000 Gefangene in diesen drei Lagern.
Charakteristisch für diese Lager war ihre abgelegene Lage, d.h. auf Truppenübungsplätzen sowie der Umstand, daß die sowjetischen Gefangenen von den Gefangenen anderer Staaten strikt getrennt wurden.
Die "Ausstattung" entsprach der faschistischen Propaganda vom "jüdisch-bolschewistischen" und/oder "asiatischen" "Untermenschen", der keine eigene Lebenberechtigung habe und im sog. "Rassenkampf" zu vernichten sei: außer Wachtürmen und Stacheldraht bestand sie zunächst aus nichts. Die von langen Transporten stark entkräfteten Gefangenen lebten also unter freiem Himmel ohne jegliche feste Unterkunft. Sie vegetierten in abgetrennten "Camps" zu je 2-4.000 Mann und mußten sich gegen die Witterung schützen, indem sie provisorische Hütten aus Laub und Zweigen bauten oder sich in die Erde eingruben.
Da wundert auch nicht mehr, daß die Ernährung real eine systematische Unterernährung war, also: Verhungernlassen. Hygienische und medizinische Versorgung gab es so gut wie nicht.

Das Massensterben vom Winter 1941/42 ...
Aufgrund der katastrophalen hygienischen Bedingungen sowie dem Gesundheitszustand der Gefangenen waren die Bedingungen für die Verbreitung von Seuchen ziemlich günstig. Im November 1941 meldete das RSHA den Ausbruch des Fleckfiebers zunächst im Lager Wietzendorf. Diese Seuche, die rasch auch auf die anderen Kriegsgefangenenlager übergriff, welche deshalb unter Quarantäne gestellt wurden, forcierte das aufgrund der planmäßigen Unterernährung und der Nicht-Unterbringung sowie Nicht-Versorgung vorprogrammierte Massensterben in den Stalags. Bereits im August 1941 war eine Ruhrepidemie ausgebrochen, die Todesrate stieg mit Beginn des Herbstes steil an. Zusätzlich sorgte der kalte Winter - bzw. die nichtgetroffenen Gegenmaßnahmen der Wehrmacht - dafür, daß täglich 400 Menschen starben. Meist an Kälte und Hunger. Die Toten wurden in Massengräbern unweit der Lager verscharrt.
Im Frühjahr 1942 waren die drei Lager fast ausgestorben, im wahrsten Sinne des Wortes. Mindestens 44.000 Gefangene waren in dem Winter 1941/42 ums Leben gekommen, höchstens 5.000 hatten überlebt. In Bergen-Belsen starben 18.000 von etwa 20.000 Gefangenen. [Kolb 1962, S.40; NLzpB 1990, S. 52] Die Lager Wietzendorf und Oerbke wurden nach dem Massensterben aufgelöst.

...und damit verbundener "Arbeitskräftemangel"
Inzwischen, da die deutschen "Blitzkrieg"-Pläne im Osten gescheitert waren, stellte dieses Massenmorden für die deutsche "Volksgemeinschaft" ein Problem dar - wenngleich auch kein humanitäres. Die deutsche Kriegswirtschaft benötigte hunderttausende zusätzliche Arbeitskräfte, da ja die Umsetzung deutscher Großmachtphantasien vorhandene deutsche Arbeitskräfte band.
Der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, Alfred Rosenberg, beklagte diesbezüglich im Februar 1942 die Folgen der deutschen Kriegsgefangenenpolitik: "Von den 3,6 Millionen Kriegsgefangenen sind nur noch einige Hunderttausend voll arbeitsfähig."
Trotzdem bzw. deshalb befahl Hitler am 31.10.1941 den "Großeinsatz" der sowjetischen Kriegsgefangenen, von denen bisher nur wenige zur Zwangsarbeit herangezogen worden waren. Die Verpflegungssätze wurden daraufhin angehoben, der Bau von Baracken angeordnet und die "Aufpäppelung" der Gefangenen angeordnet. Diese allmählich durchgeführten Maßnahmen konnten jedoch das Massensterben im Winter 1941/42 nicht verhindern.
Erst ab dem Frühjahr 1942 besserte sich die Situation der Gefangenen allmählich. Dabei ist jedoch festzuhalten, daß die sowjetischen Kriegsgefangenen - von denen in den folgenden Jahren laufend etwa eine halbe Million eingesetzt waren - nach [Kolb 1962, S. 48, 52] wie vor [vgl. Kolb 1962, S. 57] deutlich schlechter behandelt wurden als die Kriegsgefangenen anderer Staaten. Statistisch formuliert: Die Todesrate war höher, die Arbeitsleistung weit unterdurchschnittlich. Letzteres war Anlaß zu häufiger Klage seitens der deutschen "Arbeitgeber".

Das "Hannoveraner Komitee"
Das Lazarett [Kolb 1962, erklärt diesen Stempel auf S. 57: "Für Ausnahmefälle der jetzt zu 'liquidierenden' Stempelkategorien gab die Zentralstelle einen neuen Stempel heraus, den '120000er' (Seriennummer ab 120000), der - verständlicherweise - sehr begehrt war und von der SS durch Mittelsmänner auch gegen hohe Beiträge verkauft wurde; wer diesen Stempel kaufte, erbrachte damit den Nachweis, daß er ein 'wirtschaftlich wertvoller Jude' war."] Bergen-Belsen war aber nicht nur Ort des Sterbens sondern auch Ort des Widerstands: sowjetische Ärzte und Sanitäter sammelten von Gefangenen aus den Arbeitskommandos Informationen über die Zustände in den Lagern, Arbeitsbedingungen in den Betrieben oder die Lage an der Front und verbreitete sie per Flugblatt mit Hilfe der zur Arbeit Zurückkehrenden. Außerdem wurden Fluchtversuche unterstützt, Dossiers über deutsche Rüstungsprojekte angelegt, [Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung 1990, S. 53ff., Kolb 1962, S. 62f.] Maßnahmen gegen die massive Propaganda für den Übertritt auf die deutsche Seite ergriffen. Die Organisation in BB nannte sich "Hannoveraner Komitee" und arbeitete unentdeckt vom Frühjahr 1942 bis zum Kriegsende, während eine Widerstandsorganisation im Lager Fallingbostel im August 1944 zerschlagen wurde.

Ein Teil des Kriegsgefangenenlagers wird zum "Aufenthaltslager". Das Lazarett für sowjetische Kriegsgefangene
Während Oerbke und Wietzendorf aufgelöst wurden, wurde das Lager Belsen weiter ausgebaut und diente ab 1942 vor allem als Lazarett. Im April 1943 folgt die Wehrmacht einer Anordnung des RFSS, Heinrich Himmler, und überläßt der SS einen Teil des Lagers zur Einrichtung eines "Aufenthaltslagers" für jüdische Familien, die gegen im Ausland internierte Deutsche ausgetauscht werden sollen. Das Stalag XI C (311) wird aufgelöst, das Kriegsgefangenenlazarett jedoch bleibt als "Zweiglager" des Stalag XI B Fallingbostel bestehen. BB ist weiter "Zentrales Lazarett für russische Kriegsgefangene" in der Region. Hier wurden arbeitsunfähige Gefangene aus den Kommandos in Hannover, Salzgitter oder Celle eingeliefert, häufig nur zum Sterben. Zwischen Frühjahr 1942 und Januar 1945 sind dort mindestens weitere 12.000 Soldaten gestorben, als Opfer der Zwangsarbeit.
Während des Jahres 1944 wurden zusätzlich französische und polnische Kriegsgefangene sowie italienischen "Militärinternierte" untergebracht. Im Januar 1945 wird das Kriegsgefangenenlager endgültig geräumt, die Gefangenen nach Fallingbostel verlegt und die Baracken als "Großes Frauenlager" in das KZ Bergen-Belsen eingegliedert.

Errichtung des "Zivilinterniertenlagers"
Laut Eberhard Kolb gibt kein Dokument darüber Auskunft, warum das Lager für die "Austauschjuden" ausgerechnet in Bergen-Belsen errichtet worden ist. Seit 1942 sei es unüblich gewesen, Lager in Deutschland zu errichten, denn nach einer Direktive von Himmler wurden alle JüdInnen aus den KZs auf deutschem Boden nach Lublin und Auschwitz deportiert. Scheinbar hatten es die an dem Austausch interessierten deutschen Stellen aber sehr eilig, denn schon verhältnismäßig kurz nach den ersten Erlässen bezüglich der "Austauschjuden" taucht der Name Bergen-Belsen auf dem Verteiler des Runderlasses des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes (WVHA) auf (am 27. April 1943). Am 30. April wurden 250 Häftlinge aus Buchenwald nach Bergen-Belsen als "Vorkommando" zur Errichtung des Lagers gebracht. Im Mai 1943 kam der SS-Hauptsturmführer und erste Kommandant von Bergen-Belsen, Adolf Haas mit einem rund 500 Mann starken "Baukommando" nach Bergen-Belsen. Im Juli 1943 war das Lager konstituiert. Die Baracken waren renoviert, mit weiteren Bauarbeiten war begonnen worden, aber bspw. die sanitären Anlagen waren völlig unzureichend.

Fortsetzung folgt

AG 8.April 1945

Abkürzungen:
BBBergen-Belsen
KZKonzentrationslager, eigentlich KL
NLzpBNiedersächsische Landeszentrale für politische Bildung
RFSS"Reichsführer SS"
RSHA"Reichssicherheitshauptamt"
SS"Schutzstaffel"
WVHA"Wirtschaftsverwaltungshauptamt"

Benutzte und weiterführende Literatur:
AG Bergen-Belsen e.V.: Chronologie Bergen-Belsen, erstellt von Julius Kriszan, ca.1985
Bastian, Till: Furchtbare Soldaten. Deutsche Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg. München 1997
Benz, Wolfgang/Graml, Hermann/Weiß, Hermann (Hg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Stuttgart 1997
Keller, Rolf: "Russenlager" Sowjetische Kriegsgefangene in Bergen-Belsen, Fallingbostel-Oerbke und Wietzendorf, in: Nolte, Hans-Heinrich (Hg.): "Der Mensch gegen den Menschen": Überlegungen und Forschungen zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941, Hannover 1992, S.111-136
Kolb, Eberhard: Bergen-Belsen 1943 bis 1945. Göttingen, 3.durchgesehene Auflage, 1988
Ders.: Bergen-Belsen. Geschichte des Aufenthaltslagers. Hannover, 1962
Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung (Hg.): Konzentrationslager Bergen-Belsen. Berichte und Dokumente. Hannover 1995
Dies.: Sowjetische Kriegsgefangene. Leiden und Sterben in den Lagern Bergen-Belsen, Fallingbostel, Oerbke, Wietzendorf. Katalog zur Sonderausstellung. Hannover 1991
Dies.: Bergen-Belsen. Begleitheft zur Ausstellung, Hannover 1990
Niedersächsischer Minister des Inneren (Hg.): Das Lager Bergen-Belsen. Hannover, 2.Aufl., 1981
Nolte, Hans-Heinrich: Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion 1941. Text und Dokumentation, Hannover 1991
Obenaus, Herbert: Die Räumung der hannoverschen Konzentrationslager im April 1945, Abschnitt "Der Todesmarsch der hannoverschen Häftlinge zum KZ Bergen-Belsen", in: Rainer Fröbe u.a.: Konzentrationslager in Hannover, Hildesheim 1985, S.503-518
Streit, Christian: Keine Kameraden - Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941 - 1945, Bonn 1991

Vom "Zivilinterniertenlager" zum "Aufenthaltslager"
Obwohl vom Auswärtigen Amt mit dem RSHA zusammen geplant, unterstand Bergen-Belsen, wie die Konzentrationslager auch, dem WVHA, war also in das System der Konzentrationslager eingegliedert und wurde von identischen Stellen verwaltet. Damit war sein späteres "Schicksal" als Auffanglager der "Evakuierungszüge" aus dem Osten bereits vorbestimmt.
Das WVHA teilte am 10. Mai 1943 offiziell die Errichtung des zu diesem Zeitpunkt noch als "Zivilinterniertenlager" bezeichneten Bergen-Belsen mit. Bereits am 29. Juni wurde der Name in "Aufenthaltslager" geändert, mit folgendem Grund: "Diese Änderung ist erforderlich, da Zivilinterniertenlager gemäß der Genfer Konvention internationalen Kommissionen zur Besichtigung zugänglich sein müssen." Obwohl die JüdInnen "bevorzugt" behandelt werden sollten, um "Greuelpropaganda" nach dem Austausch zu vermeiden, sollten die Lagerbedingungen scheinbar nicht so gut sein, daß sie vorzeigbar gewesen wären.

Das "Aufenthaltslager" als "Vorzugslager"
Da die in Bergen-Belsen internierten JüdInnen für Austauschzwecke vorgesehen waren, waren auch - für den größten Teil - die Lebensbedingungen besser als in anderen Konzentrationslagern: "Die Lagerinsassen blieben (...) zunächst weitgehend von den in Konzentrationslagern üblichen Brutalitäten verschont; sie sollten im Falle ihres Austausches nicht über die allerschlimmsten Methoden und Greuel in den Konzentrationslagern berichten können." Aufgrund dieser Ausnahmesituation kann Bergen-Belsen nicht mit den anderen Konzentrationslagern verglichen, die Lage dort nicht auf andere übertragen werden: "Die Zustände im Lager Bergen-Belsen in den ersten Monaten nach der Gründung, der Aufbau und der Zweck dieses Lagers können in keiner Hinsicht als symptomatisch für die nationalsozialistischen Konzentrationslager überhaupt gelten (...)."
Bei dem Austauschplan, der als Teil der "Endlösung" zu begreifen ist, spielten keineswegs humanitäre Motive eine Rolle. Vielmehr standen die Faschisten vor dem Problem, daß in den USA, in Lateinamerika und in Palästina viele Deutsche interniert waren, es befanden sich aber nur wenige Angehörige dieser Staaten in deutscher Gewalt. Deshalb wurden auch JüdInnen dieser Länder zum Austausch vorgesehen: "Der Austausch stellte eine Rettungschance für einen winzigen Bruchteil der verfolgten Judenheit Europas dar und eine Rettungschance nur deshalb, weil sich die deutschen Regierungsinstanzen von diesem Verfahren eine Stärkung des deutschen Potentials versprachen."

Die "Vernachlässigung" Bergen-Belsens durch das WVHA
Generell hatte das WVHA die Aufgabe, die Arbeitskraft von Häftlingen auszubeuten. An BB, wo die Häftlinge als "Insassen" bezeichnet wurden und es kaum eine Möglichkeit zu effizientem Arbeitseinsatz gab, lag ihnen nicht viel, "sie widmeten diesem Lager kein besonderes Augenmerk und bemühten sich nicht um den Ausbau des Lagers und die Herstellung geordneter Verhältnisse". Die wirtschaftliche Verwaltung oblag dem WVHA, in politischen Angelegenheiten lag die Kompetenz jedoch beim RSHA: "Vom RSHA wurde festgestellt, welcher 'jüdische Personenkreis' für eine Verlegung nach BB in Frage kam, vom RSHA wurden die Transporte nach BB angeordnet, wurden die Lagerinsassen in verschiedene Kategorien eingeteilt, die jeweils differenziert zu behandeln waren (...)."

Ankunft der ersten "Austauschjuden"
Anfang Juli 1943 konnte seitens des RSHA mit der Verlegung zunächst weniger JüdInnen nach Bergen-Belsen begonnen werden. Mittlerweile war die Zahl der in BB zu internierenden "Austauschjuden" von 30.000 per Anordnung des RFSS Himmler auf 10.000 begrenzt worden. Mitte Juli kamen polnische JüdInnen aus Warschau, Lemberg und Krakau nach BB. Sie hatten überwiegend lateinamerikanische Pässe, rund 250 standen auf der "Palästina-Liste", sollten gegen Deutsche in Palästina ausgetauscht werden. Sie wurden in einen besonderen Lagerteil eingewiesen, blieben unter sich. Damit wollte die SS vermutlich verhindern, daß andere InsassInnen von BB mit ihnen zusammentrafen, denn die JüdInnen aus dem Osten konnten von den dortigen Taten der Deutschen wissen, Auschwitz war ihnen wahrscheinlich bekannt. "Greuelpropaganda" sollte nicht verbreitet werden. Später wurden die Pässe der polnischen JüdInnen nochmals kontrolliert und die meisten wurden - aufgrund gekaufter Papiere, sogenannter "Promesas" - im Oktober 1943 nach Auschwitz deportiert, anstatt ausgetauscht zu werden. die 250 JüdInnen der Palästina-Liste blieben sowie auch wenige mit "Promesas" oder US-amerikanischen Dokumenten. Insgesamt blieben 350 polnische JüdInnen in BB. Nach einer Direktive des Auswärtigen Amtes sollte das RSHA sogar gefälschte Dokumente anerkennen, wenn nur die Austauschmöglichkeit für diese JüdInnen gegeben war: "zu diesem Zeitpunkt waren die deutschen Stellen bemüht, für den projektierten Austausch möglichst viele jüdische Anwärter zusammenzubekommen, mochten die Dokumente, die ihre Anwartschaft begründeten, auch von zweifelhafter Qualität sein. Entscheidend war ausschließlich, ob die südamerikanischen Staaten auf dieser Basis zu einem Austausch bereit waren."
Als nächstes kamen einige spanische JüdInnen, sogenannte "Spagniolen", aus Griechenland nach BB. An diesem Beispiel - die JüdInnen kamen aus Saloniki, zeigt sich der geringe Anteil der "Austauschjuden". Von insgesamt 46.000 JüdInnen kamen nur 414 nicht nach Auschwitz. Die "Spagniolen" wurden "bevorzugt", weil Spanien ein neutrales Land war, und das sollte auch so bleiben. Sie wurden, auch wieder hinsichtlich möglicher "Greuelpropaganda", relativ gut behandelt und in das "Neutralenlager" (s.u.) eingewiesen. Am 7. Februar 1944 gingen 367 von ihnen im Zuge der "Heimschaffung" - also nicht als Austausch - nach Spanien. Neben den SpanierInnen waren in dieser Gruppe auch 74 griechische JüdInnen, die im "Sternlager" (s.u.) untergebracht wurden.

Die Transporte aus Westerbork
Das Lager Bergen-Belsen hatte 1943 nur sehr wenige InsassInnen, bis die ersten Transporte aus dem holländischen Lager Westerbork eintrafen. In Holland wurde die Verfolgung der JüdInnen durch die Nazis am radikalsten in West- und Mitteleuropa durchgeführt. Seit Anfang 1941 gab es eine Meldepflicht für JüdInnen, seit dem 1. Mai 1942 die Sternpflicht. Ab 1942 wurden JüdInnen aus Holland nach Auschwitz deportiert. Ausgangspunkt der Deportationen war das Lager Westerbork im abgeschiedenen Norden des Landes.
Es gab eine größere Zahl von Rückstellungen für die Transporte nach Auschwitz, am 1. Dezember 1942 waren insgesamt 32.655 JüdInnen zurückgestellt. Zu ihnen gehörten "Auslandsjuden", getaufte JüdInnen, "Abstammungsjuden", "Protektionsjuden", "Rüstungsjuden", Angestellte des Judenrats und "in Mischehe lebende" JüdInnen. Im September 1943 wurden die ersten JüdInnen aus Westerbork nach BB gebracht, vornehmlich solche mit dem "120.000er-Stempel".
Daneben kamen auch Angehörige der "Palästinaliste", der "Südamerikaliste" und der "Doppelstaatlerliste" nach BB. Ende 1943 standen 6937 JüdInnen auf solchen Listen in Westerbork.
Am 14. September kam der erste Transport mit 305 "Bevorzugten" in Soltau an. Die sieben Wagen wurden von einem Zug abgehängt, dessen Ziel Auschwitz war. Die JüdInnen, die in BB blieben, sollten eigentlich nach Theresienstadt, wohin sie auch am 25. Januar 1944 verlegt wurden. Die zahlenstärksten Transporte kamen erst 1944 aus Westerbork, da eine frühere Aufnahme aufgrund der mangelnden Sanitäranlagen unmöglich war. Im Winter 43/44 waren deshalb erst 2000 JüdInnen in BB, im Juli 1944 aufgrund der Transporte aus Westerbork rund 7000.

Lagereinteilung
Wie bereits erwähnt wurde das "Aufenthaltslager" gleich zu Beginn in mehrere Abschnitte eingeteilt. Die Einteilung entsprach "der komplexen Vielfalt von Absichten und Zwecken, deretwegen das RSHA die verschiedenen 'Kategorien' von Juden (...) zurückgestellt hatte."
Den Kern bildete das Sternlager, in dem die meisten JüdInnen untergebracht wurden. Der Name beruht auf der vorgeschriebenen Sternpflicht in diesem Bereich. Zunächst waren hier die 74 griechischen JüdInnen aus Saloniki untergebracht, die JüdInnen aus Westerbork kamen hinzu. Im Sternlager lebten die eigentlichen "Austauschjuden" in insgesamt 18 Baracken. Männer und Frauen waren nur nachts getrennt im Unterschied zu eigentlichen KZs. Nur im Sternlager bestand Arbeitszwang: das "Schuhkommando" war das größte Arbeitskommando, dort wurde Leder zur Wiederverwertung von alten Schuhen gelöst. Andere Arbeiten waren Küchendienst oder Kanalisationsarbeiten auf dem Lagergelände. Die Verpflegung entsprach den Richtlinien des WVHA, war also genauso unzureichend wie in allen anderen Konzentrationslagern. Seit Mitte 1944 bestimmten Hunger und Krankheit das Leben der Häftlinge; qualvolle Enge, verheerende hygienische Verhältnisse und Mangel an ärztlicher Betreuung waren ideale Bedingungen für die Ausbreitung von Ungeziefer und Krankheiten, die immer zahlreichere Opfer forderten.
Ein anderer Teil des Lagers war das sogenannte Neutralenlager. Hier waren JüdInnen aus neutralen Staaten interniert, vor allem aus Spanien, Portugal, Argentinien und der Türkei. Die Zustände waren - bis März 1945 - weniger schlimm als im übrigen Lager, vermutlich wg. Vermeidung von "Greuelpropaganda". Es gab keinen Arbeitszwang, die Hygiene war besser und es gab mehr zu essen.
Im sogenannten Sonderlager waren ab Mitte 1943 mehrere tausend polnische JüdInnen untergebracht, die nicht nach Auschwitz deportiert wurden. Da die InsassInnen als "Ostjuden" von den Vernichtungsaktionen in Auschwitz wissen konnten, wurden sie strikt von
allen anderen Gefangenen getrennt. Bis Mitte 1944 wurden die meisten nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Nur etwa 350 Personen blieben zurück.
Das Ungarnlager wurde im Juli 1944 für 1683 ungarische JüdInnen eingerichtet, über deren Freikauf gegen Geld und Waren RFSS Himmler mit ausländischen jüdischen Organisationen verhandelte. Die UngarInnen trugen Zivilkleidung mit dem "Judenstern"; auch für sie bestand kein Arbeitszwang.
Im Häftlingslager waren keine JüdInnen untergebracht. In diesem von Beginn an bestehenden bestehenden Lagerabschnitt war zunächst das "Baukommando", welches das "Aufenthaltslager" im geräumten Teil des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers (s.o.) errichtete, untergebracht. Ab März 1944 wurden hier nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge aus anderen Konzentrationslagern untergebracht, "zur Erholung": der erste Krankentransport mit 1000 meist tuberkulösen Häftlingen aus dem Lager Dora-Mittelbau wurde ohne einen einzige Arzt nach BB gebracht. Von diesen Menschen lebten am Tage der Befreiung des Lagers noch 57. Die Häftlinge vegetierten unter unerträglichen Bedingungen: Sträflingskleidung, Zwangsarbeit bis zur völligen Erschöpfung und Mißhandlungen durch SS und Kapos standen auf der Tagesordnung. Im Sommer 1944 wurden im Häftlingslager etwa 200 Menschen von dem Häftling Karl Rothe, den die SS als "Oberpfleger" eingesetzt hatte, mit Phenoleinspritzungen umgebracht. Diese Morde geschahen auf Anordnung der SS und auch als Willkürhandlungen von Rothe selbst. Im September 1944 wurde er durch Mithäftlinge zum Tode verurteilt und bei nächster sich bietender Gelegenheit getötet.
Anfang August 1944 wurde das Zeltlager aufgebaut. Es war zunächst Durchgangslager für zahlreiche aus Polen kommende Frauentransporte. Im Oktober/November 1944 wurden hier etwa 8000 evakuierte Frauen aus dem Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau untergebracht. Zahlreiche Frauen wurden von hier aus zur Zwangsarbeit in Außenlager der KZ Neuengamme, Buchenwald und Flossenbürg geschickt. Nachdem die Zelte durch einen Sturm völlig zerstört wurden, pferchte man die Häftlinge in bereits überfüllte andere Baracken.
Das große Frauenlager entstand im Januar 1945 in den Baracken des ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenenlagers. Dort wurden Frauen untergebracht, die in zunehmender Zahl seit dem Herbst 1944 aus frontnahen Konzentrationslagern nach BB "evakuiert" wurden.
Im kleinen Frauenlager waren bereits ab August 1944 zahlreiche Frauen untergebracht, die zumeist aus dem KZ Auschwitz nach BB deportiert waren.

"Austauschbilanz"
Das besondere an der Situation der in Bergen-Belsen internierten JüdInnen war, daß sie eine berechtigte Hoffnung auf ihre Rettung durch einen Austausch haben konnten, wohingegen die in den Konzentrationslagern Gefangenen nur durch eine militärische Niederlage Deutschlands gerettet werden konnten. Doch das Austauschprogramm in seiner ursprünglichen Planung wurde nicht realisiert und die wenigsten Häftlinge wurden tatsächlich ausgetauscht. 222 JüdInnen konnten Ende Juni 1944 das Lager verlassen und gelangten im Juli nach Palästina; 136 Personen erreichten im Zuge eines deutsch-amerikanischen Zivilpersonenaustausches Ende Januar 1945 die Schweiz. Außerdem gelangten die 1683 Häftlinge des Ungarnlagers und einige hundert JüdInnen mit der Staatsangehörigkeit neutraler Länder im August und Dezember 1944 über die Schweizer Grenze in Freiheit. [NLzpB 1990, S. 57, Benz u.a.(Hg.), S. 395 und NLzpB 1990, S. 64-67, "geboren 1906, trat 1931 der NSDAP und 1932 der SS bei. Seit 1934 in Konzentrationslagern eingesetzt, war er in Dachau, Sachsenhausen und Mauthausen, bevor er im Mai 1940 als Adjutant von Rudolf Höß nach Auschwitz kam. Im November desselben Jahres wurde er dann Lagerführer im KL Natzweiler, zu dessen Kommandant er 1942 aufstieg. 1944 kehrte er als Kommandant von Birkenau nach Auschwitz zurück, wurde aber schon im November desselben Jahres in derselben Funktion in das KL Bergen-Belsen versetzt. 1945 wurde er von den Briten verhaftet und machte im Nürnberger Ärzteprozeß detaillierte Aussagen, wie er Zyklon B in die Gaskammer geworfen habe, um seine Opfer zu töten, da er eben zum Gehorsam erzogen worden sei. Im selben Jahr angeklagt und in der internationalen Berichterstattung als 'Bestie von Belsen' bezeichnet, wurde er von einem britischen Militärgericht zum Tode verurteilt und in Hameln hingerichtet." Danuta Czech: Kalendarium der Ereignisse in Auschwitz-Birkenau 1939-1945, Hamburg 1989, S. 1009/1010; hierzu z.B. Obenaus in Fröbe u.a., Benz u.a.(Hg.), S. 395, NLzpB 1991, S. 26, NLzpB 1995, NLzpB 1991, S. 5]
Das geplante Ziel, 30000 JüdInnen zu internieren, um sie dann gegen deutsche Staatsangehörige auszutauschen, kann also als gründlich fehlgeschlagen bezeichnet werden. Es stellte sich allerdings auch die Frage, wie stringent diese Aktion eigentlich geplant worden ist, denn die unterschiedlichen Stellen der NS-Hierarchie waren scheinbar nicht einer Meinung über die Vorgehensweisen. Mal wurden die "Promesas" trotz offensichtlicher Unechtheit anerkannt, mal wurden ihre BesitzerInnen in den Tod geschickt. Unklar ist auch der Zweck der Umbenennung in "Aufenthaltslager": wäre es nicht sinnvoller gewesen, das Lager auch vorzeigbar zu gestalten, gerade wenn wirkliches Interesse an einem Austausch bestanden hätte?

Bergen-Belsen als Konzentrationslager
Im Dezember 1944 - mit Abschluß der Umwandlung des "Aufenthaltslagers" zum Konzentrationslager - wurde BB dem vormaligen Kommandanten von Auschwitz-Birkenau, SS-Hauptsturmführer Josef Kramer, unterstellt.
Innerhalb des KZ-Systems hatte es eine Sonderstellung als Durchgangs- und Auffanglager. Als die SS bei Kriegsende die frontnahen KZ räumte, um die Häftlinge "nicht lebend in die Hände des Feindes" fallen zu lassen, wurde BB zum Ziel zahlreicher "Evakuierungstransporte" . Die eintreffenden Häftlinge, die eingepfercht in Güterwaggons, tage-, teilweise auch wochenlange Irrfahrten mitgemacht oder lange Fußmärsche zurückgelegt hatten, waren vollkommen ausgezehrt. In dem überfüllten Lager (Ende Nov.1944 15.000, Ende April 1945 60.000 Häftlinge, in dem es an allem mangelte, verdursteten und verhungerten viele von ihnen binnen kurzem. Die Lagerleitung unterließ bewußt jegliche Hilfeleistung und bemühte sich auch nicht, die im Gebiet des Truppenübungsplatzes vorhandenen Nahrungsmittelreserven , Kleidervorräte und Medikamente in Anspruch zu nehmen. Stattdessen war sie Spurenbeseitigung bemüht: Vom 11. bis zum 14. April 1945 mußten 2000 Häftlinge die unbeerdigten Toten zu großen Massengräbern schleppen.
Unmittelbar vorher wurden vom 6. bis 11. April die "Austauschjuden" in drei Zügen mit etwa 8000 Häftlingen "evakuiert". Diese Aktion bedeutete für Hunderte von ihnen den Tod. Ein Zug erreichte Theresienstadt; die beiden anderen wurden nach tage- und wochenlanger Irrfahrt und zahlreichen Luftangriffen bei Magdeburg von amerikanischen und bei Tröbitz von sowjetischen Soldaten befreit.
Am 15. April 1945 befreiten britische Truppen das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Der Großteil der SS-Schergen hatte sich kurz zuvor abgesetzt, der Kommandant Kramer war mit etwa 80 SS-Männern und -Frauen im Lager geblieben. Die bei der Befreiung aufgenommenen Bilder wurden damals weltweit veröffentlicht und stehen seither stellvertretend für die faschistischen Verbrechen in den Konzentrationslagern.

Nach der Befreiung
Trotz umfangreicher medizinischer Bemühungen starben im ersten Vierteljahr nach der Befreiung noch einmal weiter 13.000 Menschen. Ende Mai 1945 wurden zur Verhinderung der Ausbreitung weiterer Seuchen sämtliche Holzbaracken des Lagers niedergebrannt. Im November 1945 entstand in BB das erste Mahnmal, das jüdische Überlebende ihren Toten widmeten und an dem seit 1946 am Befreiungstag eine Gedenkfeier
veranstaltet wird. Auf Anordnung der britischen Militärregierung begannen deutsche Kriegsgefangene 1946/47 mit der Errichtung des internationalen Mahnmals, eines 24 m hohen Obelisken mit 50 m langer Inschriftenwand. 1952 übernahm das Land Niedersachsen die Pflege der aus Massengräbern gebildeten Friedhofsanlage und der Mahnmale; 1966 wurde ein Dokumentenhaus mit ständiger Ausstellung eingerichtet. 1990 wurde das Dokumentenhaus wesentlich erweitert.

Der Sowjetische Kriegsgräberfriedhof ...
... war (und ist!) mehr noch als das Konzentrationslager ein "sehr lang verdrängtes Kapitel der Geschichte" (Jürgen Trittin). Es paßte gut in den Kram, daß der Zugang zu den Friedhöfen, deren Pflege dem Land Niedersachsen obliegt, wegen ihrer Lage auf dem Truppenübungsgelände schwer zugänglich waren. Oft wurden sie durch Manöver in Mitleidenschaft gezogen, die Mahnmale gelegentlich mutwillig beschädigt. Die ursprünglich vorhandenen Symbole - Hammer und Sichel sowie Sowjetstern - sind heute weitestgehend verschwunden. Auf den Gräbern sind orthodoxe Kreuze errichtet worden.
Der Text des im Juni 1946 von der sowjetischen Militärmission errichteten Mahnmals auf dem sowjetischen Kriegsgefangenenfriedhof ist in deutscher, englischer und russischer Sprache angebracht und lautet: "Hier sind 50.000 sowjetische Kriegsgefangene begraben, die in deutsch-faschistischer Kriegsgefangenschaft zu Tode gequält wurden." Eine weitere, nur in russischer Sprache aufgebrachte Inschrift lautet: "Schlaft, teure Genossen,/ zum Gedenken an Euch/ Ihr werdet ewig leben in/ den Herzen der Völker/ der Sowjetunion." Weniger eilig hatten es die bundesdeutschen Stellen: erst in den sechziger Jahren wurden die Grabstätten umgestaltet und mit einem festen Wall umgeben. 1968 wurde sogar ein deutscher Gedenkstein aufgestellt mit allerdings fragwürdigem Text: "Den sowjetischen Soldaten/ zum Gedenken, die hier wäh-/ rend des Zweiten Weltkrieges/ in Kriegsgefangenschaft in/ grosser Zahl gestorben sind." (dt./russ.)
Auch gibt es erst seit 1987 den Verbindungsweg zum sowjetischen Kriegsgräberfriedhof. Und erst seit 1990 gibt es in der neuen Dauerausstellung einen Schwerpunktteil zum Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen. Im Sommer 1991 - fast 50 Jahre nach Kriegsende!! - fand erstmalig eine Sonderausstellung zu diesem "Kapitel" statt.

AG 8.April 1945

Abkürzungen:
BBBergen-Belsen
KZKonzentrationslager, eigentlich KL
NLzpBNiedersächsische Landeszentrale für politische Bildung
RFSS"Reichsführer SS"
RSHA"Reichssicherheitshauptamt"
SS"Schutzstaffel"
WVHA"Wirtschaftsverwaltungshauptamt"

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Deutsche "Vergangenheitsbewältigung"
VVN 1985:
-Zitat des niedersächsischen Innenministeriums von 1979: "Es ist nicht beabsichtigt, auf der Gedenkstätte ständige Führungen einzurichten, weil dies mit dem besonderen Charakter der Stätte als einem Platz der Ruhe und Besinnlichkeit unvereinbar erscheint."
-Schießlärm stört nicht?!
-Obenaus-Brief 1985
"Von nichts gewußt"?!
-Dürkefälden-Zitate in Obenaus, 103-112, 120-128
-"Es kann nicht schaden, wenn sich die Bevölkerung diese Tiere in Menschengestalt ansieht, zum Nachdenken angeregt wird und feststellen kann, was geworden wäre, wenn diese Bestien über Deutschland hergefallen wären." (Bürgermeister von Wietzendorf, NLzpB 1991, S. 14)
-dafür wußten sie später umso genauer: Hanna Fueß
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pub8.doc
Version: mit allen Quellenangaben usw, noch nicht gekürzt für Endfassung (aber doch schon Vorauswahl getroffen aus den zwei Referaten zu Hörsten und Bergen-Belsen)
Stand: 17.05.98

Das "Unternehmen Barbarossa"
"Keine Kameraden"

Am 30. März 1941 äußerte Hitler in einer Rede vor Generälen: "Wir müssen vom Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken. Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und hinterher kein Kamerad. Es handelt sich um einen Vernichtungskampf... Wir führen nicht Krieg, um den Feind zu konservieren." (Nolte 1991, Dok.8; zu diesem Thema bisher am umfassendsten: Streit 1991)
In den "Anordnungen über die Behandlung sowjetischer Kr[iegs]. Gef[angener]. in allen Kriegsgefangenenlagern" vom September 1941 heißt es:

"Der Bolschewismus ist der Todfeind des nationalsozialistischen Deutschland. Zum ersten Male steht dem deutschen Soldaten ein nicht nur soldatisch, sondern auch politisch ... geschulter Gegner gegenüber. Der Kampf gegen den Nationalsozialismus ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Er führt ihn mit jedem ihm zu Gebote stehenden Mittel: Sabotage, Zersetzungspropaganda, Brandstiftung, Mord. Dadurch hat der bolschewistische Soldat jeden Anspruch auf Behandlung als ehrenhafter Soldat nach dem Genfer Abkommen verloren.
Es entspricht daher dem Ansehen und der Würde der deutschen Wehrmacht, daß jeder deutsche Soldat dem sowjetischen Kriegsgefangenen gegenüber schärfsten Abstand hält. ... Widersetzlichkeit, aktiver oder passiver Widerstand muß sofort mit der Waffe restlos beseitigt werden. ... Bei den sowjet. Kr. Gef. ist es schon aus disziplinären Gründen nötig, den Waffengebrauch sehr scharf zu handhaben. ... Auf flüchtige Kr. Gef. ist sofort ohne vorherigen Haltruf zu schießen. Schreckschüsse dürfen niemals abgegeben werden." (NLzpB. 1991, S.13)


Umgang mit Kriegsgefangenen
Am 22. Juni 1941 hatte die faschistische deutsche Wehrmacht den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion begonnen. Resultat dieser "modernen" Kriegsführung waren, was die sowjetischen Kriegsgefangenen betraf, 3,3 Millionen Tote. Das sind fast 60% der gesamten 5,7 Mio. sowjetischen Kriegsgefangenen. Weltgeschichtlich eine Einzigartigkeit, wenngleich dieser Fakt gegenüber dem Wehklagen deutscher Spätheimkehrer aus dem Osten hierzulande weniger gern beachtet wird.
Nur ein kleiner Teil der Gefangenen erreichte das Reichsgebiet - viele überstanden die unendlichen Fußmärsche bis zur Grenze des Deutschen Reiches nicht - sie wurden erschossen, wenn sie nicht mehr
weiter konnten oder wurden - durchaus plangemäß - durch Nahrungsverweigerung ermordet. "Nichtarbeitende Kriegsgefangene in den Gefangenenlagern haben zu verhungern." (Generalquartiermeister Eduard Wagner, 13.11.1941, zitiert nach Keller in Nolte, S.114, Bastian 1997, S.76]
Umsetzung des "Kommissarbefehls"
Diese Maßnahmen, deren Ziel die physische Vernichtung der Gefangenen war, wurden ergänzt durch den berüchtigten "Kommissarbefehl". Das von Hitler geforderte Abrücken vom (ohnehin fragwürdigen) soldatischen Kameradentum - als ob es "humane" Kriege gäbe - mußte der deutschen Wehrmacht kaum befohlen werden. Der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion wurde von einem Millionenheer deutscher Soldaten praktiziert, blieb also nicht der "bösen" SS oder den berüchtigten Reservepolizeibataillonen überlassen. Der verbrecherische "Kommissarbefehl" (6.Juni 1941) bedeutete für aNLzpB 1991, S.18: mehr als 50.000NLzpB 1991, S.20; Keller in Nolte 1992, S.118 Der SS-Hauptsturmfhrer war vorher Kommandant des Konzentrationslagers Niederhagen bei der Wewelsburg (Paderborn). Das war das kleinste KZ der damaligen Zeit. Eberhard Kolb charakterisiert ihn: "Haas war durch nichts zum Kommandanten eines 'Vorzugslagers' prdestiniert. Es ist erwiesen, da Niederhagen ein schlecht gefhrtes Lager mit erschtternd hoher Todesziffer war (...)." Kolb 1962, S.42bertausende Rotarmisten den Tod. So genügte beispielsweise der Verdacht, daß sich innerhalb einer Gruppe sowjetischer Soldaten ein Kommissar befand, als Anlaß, diese Gruppe zu liquidieren. (Bastian 1997, S.63f)
Auch in den "Russenlagern" in der Lüneburger Heide wurden "unerwünschte Elemente"ausgesondert. Bereits im August 1941 erschienen hier Einsatzkommandos der GESTAPO Hamburg, um dort, unterstützt von Wehrmacht und korrumpierKolb 1988, S.22 Zit. n. Kolb 1962, S.38ten Gefangenen, Verhöre und Selektionen durchzuführen. In einem "Sonderpferch" wurden die ausselektierten Personen festgehalten, um anschließend per Sammeltransport zur "Sonderbehandlung" in das KZ Sachsenhausen (nördlich von Berlin) verfrachtet zu werden.
Dies entsprach dem Befehl des GESTAPO-Chefs Heydrich vom Juli 1941: "Die Exekutionen [...] müssen unauffällig im nächstgelegenen Konzentrationslager durchgeführt werden." (NLzpB 1991, S.16)
Bis zum Herbst 1941, also innerhalb von nur knapp 10 Wochen, sind in der eigens zu dies em Zwecke konstruierten "Genickschußanlage" etwa 13.000 sowjetische Kriegsgefangene ermordet worden. Darunter Tausende aus Das Lager Belsen, S.15f. Kolb 1962, S.10 Bergen-Belsen, Fallingbostel-Oerbke und Wietzendorf.
Diese Transporte nach Sachsenhausen wurden im November 1941 eingestellt, da in den drei Stammlagern, aber auch in Sachsenhausen Fleckfieber ausgebrochen war und die Lager deshalb unter Quarantäne gestellt wurden.
Morde an sowjetischen Gefangenen aus der Heide wurden auch im KZ Neuengamme (bei Hamburg) verübt. Im September 1941 wurden hier 43 Off Kolb 1962, S.30iziere erschossen, im Herb Kolb 1962, S.40st 1942 noch einmal 450 Gefangene aus dem Lager Fallingbostel in einer provisorischen Gaskammer umgebracht.

Aus: Publiz. Politik und Kultur aus Celle, Nr. 30, Juni/Juli