Celle 1924 bis 1928

Diesmal nur ein kurzer Teil. Eigentlich wollten wir ja in dieser Ausgabe das Kapitel "Celle 1867 bis 1933" endlich abschließen. Leider ist uns jedoch, kurz vor Redaktionsschluß, ein technischer Defekt dazwischengekommen, d.h. die zweite Hälfte des Artikels war unwiderruflich futsch und wir hatten weder einen Ausdruck noch einen Entwurf, aus dem wir den Inhalt in der kurzen Zeit hätten rekonstruieren können. Dumm gelaufen - trotzdem viel Spaß beim Lesen!

Beginn der Stabilisierung der Republik

Anfang 1924 - die Inflation war mit der Währungsreform abgeschlossen - setzte auch in Celle der wirtschaftliche Aufschwung ein, eine kurze Phase der Stabilisierung der Weimarer Republik begann. In Celle gab es zugleich mit Ernst Meyer ab dem 28.04.1924 einen neuen Bürgermeister. Dieser, so der Leiter des Celler Bomann-Museums Mijndert Bertram, "in politischer Hinsicht" "flexible" Mensch war zunächst Monarchist gewesen, trat 1917 der rechtsextremen Vaterlandspartei bei, um schließlich bei der DVP zu landen.
Die Celler KommunistInnen konnten sich schnell ein Bild von Meyer machen: Am 29. April waren mit Blick auf den 1.Mai sämtliche Aufzüge unter freiem Himmel verboten worden, was die Celler Polizei veranlasste, eine Spontandemo der Celler KommunistInnen mit gezogenem Säbel auseinanderzutreiben. Als anschließend eine Delegation der Celler KommunistInnen zu Meyer ging, um sich hierüber zu beschweren, telefonierte dieser gerade mit dem Sozialdemokraten Gustav Noske (der mit Hilfe der faschistischen Freikorps die revolutionären Erhebungen niedergeschlagen hatte), welcher mittlerweile Oberpräsident der Provinz Hannover war. Für Meyers Bericht über den 1.Mai fand Noske anerkennende Worte - und so ließ Meyer die Delegation ebenso wie die Forderung der örtlichen Gewerkschafter, den Einsatzleiter der Polizei zu entlassen, cool abblitzen.
Am 4. Mai fanden Gemeinde- und Reichstagswahlen statt. Die Ergebnisse der RTW lagen im Trend, abgesehen davon, daß die Gewinne der KPD in Celle geringer, die der Faschisten höher waren. Für uns interessanter sind die Gemeindewahlen: die SPD mußte erhebliche Verluste hinnehmen und erlangte nur noch 25,6 % der abgegebenen Stimmen; die KPD erzielte 10,6%, die "Bürgerliche Einheitsliste" (im wesentlichen identisch mit der BAG, vgl. "publiz" Nr. 21) 44,3%, die "Hausbesitzer- und Mittelstandsliste" 6,9%, die DDP 5% und die Deutschvölkische Freiheitspartei (hatte nach dem Verbot der NSDAP zahlreiche Nazis aufgenommen) 7,7%. Im Bürgervorsteherkollegium saßen somit neben 3 KPDlern und 8 Sozialdemokraten 19 Bürgerliche (die Unterscheidung zwischen SPD und Bürgerlichen kann mensch sich im Prinzip aber auch sparen).
Bald darauf konnten sich auch größere Kreise ein Bild vom "flexiblen" (inzwischen Ober-) Bürgermeister Meyer machen. Aus der Gedenkveranstaltung zum zehnten Jahrestag des Kriegsbeginns am 3. August 1924 machte er ein dermaßen reaktionäres Schauspiel, dass sich selbst die SPD zu Protesten genötigt sah. Danach hielt sich Meyer in dieser Hinsicht zurück, schleimte bei der SPD (die sich das gerne gefallen ließ), profitierte von der Vergesslichkeit der Öffentlichkeit und dem allgemeinen Wirtschaftsaufschwung, dessen Früchte - warum auch immer - zu einem maßgeblichen Teil ihm zugeschrieben wurden.
Insbesondere der Bausektor war eine Wachstumsbranche: die Nachfrage überstieg das Angebot um das Zehnfache. Andererseits waren der nach der Währungsreform herrschende Kapitalmangel und die hohen Zinsen Ursache zahlreicher Konkurse, so dass die Zahl der Erwerbslosen um die Jahreswende 1925/26 mit 1472 einen neuen Höchststand erreichte. Zwar sank diese Zahl wieder, infolge von Rationalisierungen und Konzentration der Wirtschaft blieb aber eine relativ hohe strukturelle Sokkelarbeitslosigkeit bestehen. Damit diese Leute nicht "auf dumme Gedanken kommen", wurden von der Stadt Notstandsarbeiten für Langzeitsarbeitslose - also schlechtbezahlte "Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen" - "angeboten".
Ab Mitte 1926 verbesserte sich die wirtschaftliche Lage in Celle spürbar, insbesondere für exportorientierte Firmen bzw. deren Besitzer; Konkurse und Arbeitslosenzahlen gingen zurück, ebenso die "Notstandsarbeiten".
In kultureller Hinsicht ist die Freie Volksbühne zu erwähnen. Diese wurde 1919 von dem jüdischen Religionslehrer und Mitglied des Arbeiter-und-Soldaten-Rates, Abraham Jaffé, gegründet und organisierte, bei 2000 zahlenden Mitgliedern, jährlich rund 50 Aufführungen anderer Bühnen in der "Union" mit durchschnittlich 500 BesucherInnen. Eine deutschnational-völkische Konkurrenzeinrichtung endete 1926 nach wenigen Vorstellungen im finanziellen Desaster.
Ebenso scheiterte die Celler Volkshochschule, die vom Arbeiterrat mit der Intention der Bildung breitester Bevölkerungskreise gegründet wurde und seit 1920 aktiv war. Mangels Nachfrage - insbesondere der ArbeiterInnen die eben dank der Nichtabschaffung von Privateigentum etc.pp. im November 1918ff. hart arbeiten mussten, anders als das Bildungsbürgertum - beendete diese Einrichtung 1929 ihre Tätigkeit.

Die Reichstagswahlen von 1928 ...

Am 20. Mai 1928 waren die nächsten Reichstagswahlen. In Celle gab es einen lauen Wahlk(r)ampf, die Ergebnisse entsprachen der allgemeinen Tendenz in der Weimarer Republik (abgesehen von der DHP): SPD 40,8%, KPD 6,3%, DVP 15,9%, DHP 13,4%, DNVP 9,2%, DDP 3,5%, NSDAP 2,1%. Nach M. Bertrams Lesart eine Stärkung der demokratischen, Republik stützenden Kräfte, während der "Radikalismus am rechten wie am linken Rand" an Boden verloren hatte. Die gängige Geschichtslüge also, von wegen die Weimarer Republik sei von rechten und linken Radikalen zerstört worden, die bspw. den nicht ganz falschen Begriff des "Extremismus der Mitte" bewußt ignoriert.

... und die „demokratische“ Mitte?

Das "demokratische" Bewusstsein der "Mitte" dokumentiert sich z.B. in den Reden anlässlich der Verfassungsfeiern. Ab 1922 wurden diese in Celle alljährlich am 11. August begangen. Durchgängig stellten die Redner, inklusive Schädlich (SPD), dort - wie die Nazis - den Versailler Vertrag und insbesondere dessen territoriale Konsequenzen in Frage und pflegten die Kriegsschuldlüge. Die Gegner von 1914-1918 blieben "Feinde" und wenn von Frieden die Rede war, war die Zeit vor 1914 gemeint. Auch konnten in Celle der staatlich geförderte (also "demokratische") und unter der Lehrer(Innen)schaft der Oberschulen beliebte "Verein für das Deutschtum im Ausland" (VDA) sowie der "Deutsche Ostbund e.V." permanent und ungestört extremen Nationalismus und Revanchismus predigen, der schließlich von Anbeginn Kernprogramm der Nazis war. Zweck des VDA war, "in allen Kreisen der Bevölkerung immer mehr Verständnis für den Zukunfts bestimmenden Kampf zu wecken, den das ganze deutsche Volk inmitten Europas für sein Volkstum zu führen gezwungen ist." Und, nicht zu vergessen: die alten reaktionären Funktionseliten, die in den Anfängen der Novemberrevolution leider nur grundlos um ihr Leben bangen mussten, während Tausende dem weißen Terror der Freikorps unter dem Kommando der Sozialdemokratie zum Opfer fielen, waren immer noch in Amt und Würden.


einige Abkürzungen:
BAG: Bürgerliche Arbeitsgemeinschaft
DDP: Deutsche Demokratische Partei
DHP: Deutsch-Hannoversche Partei
DVP: Deutsche Volkspartei
DNVP: Deutsch-Nationale Volkspartei

Aus: Publiz. Politik und Kultur aus Celle, Nr. 22, Feb../März, 1997, S. 5-6