Geschichtspolitik "Straße des 8. April"

Gewissermaßen als Nachschlag zum Gedenken an den 60. Jahrestag der so genannten Hasenjagd, also des Massakers an KZ-Häftlingen in Celle am 8. April 1945, initiierten die Bündnisgrünen eine Debatte um die Benennung einer Straße in Neuenhäusen. Einen im Zuge von Straßenbaumaßnahmen entstandenen Teil zwischen dem Kreisel Wiesenstraße und Windmühlenstraße wollten sie zur Erinnerung an dieses Verbrechen "Straße des 8. April" benannt wissen. Der Stadtrat lehnte dies Anfang Juli gegen die Stimmen von Bündnisgrünen und SPD ab.
Die Debatte zeigte dreierlei: Der lokale Geschichtsrevisionismus ist zwar in Teilen der Bevölkerung noch lebendig, ihn aber noch in der CDU verankert zu sehen, wäre irreführend - die Gefahr lauert an anderer Stelle.
Wie brisant "Erinnerungspolitik" sein kann, zeigte sich vor allem auf der Sitzung des Ortsrates Neuenhäusen. Die Möglichkeit zu einer "Bürgerdiskussion" wurde vor allem von einigen alten Männern genutzt, die wortreich alles in Frage stellten, was als gesicherte Erkenntnis über jenen 8. April gelten kann. Aus ihrer Sicht hatten alle Beteiligten "nur ihre Pflicht getan"; es wären "verurteilte Straftäter" gewesen, die sich im Zug befanden, und derer zu gedenken deshalb fragwürdig; auch hätten sich ja nur wenige Celler an der "Hasenjagd" beteiligt, die im übrigen gar nicht stattgefunden habe.
Ein kleiner kommunalpolitischer Witz war dann das Abstimmungsverhalten. Durch das Fehlen eines FDP-Ortsratsmitglied war eigentlich ein Patt gegeben, vier Stimmen bei der CDU, vier bei SPD und Bündnisgrünen. Deshalb fand der bündnisgrüne Antrag keine Mehrheit, weil 4:4. Eigentlich hätte es dann auch dem Verwaltungsvorschlag so ergehen müssen. Doch in dieser Abstimmung enthielt sich Wolfgang Zwaan von der SPD und die Verwaltung hatte mit den vier CDU-Stimmen eine Ortsratsmehrheit für ihren Vorschlag, nämlich "Neuenhäuser Straße".
In der Lokalpresse, aber auch in der "taz" und beim "NDR" wurde berichtet. Die Argumente waren ausgetauscht, als es am 7.7. in der Ratssitzung in die Debatte und Abstimmung ging. Neue Argumente hatten die Bündnisgrünen hier nicht vorzubringen. Gerhard Vasterling brachte zum Ausdruck, dass man die Gelegenheit, eine Straße am Ausgangspunkt des Verbrechens nach dem Ereignis zu benennen, beim Schopfe packen solle. Der Ortsbürgermeister Joachim Ehlers (CDU) dagegen machte sich für eine Benennung "Neuenhäuser Straße" stark. Seine Begründung: Der Ausbau dieser Straße habe für viel Streit gesorgt, deshalb könne vielleicht am Ende die Benennung nach dem Stadtteil für ein bisschen Versöhnung sorgen. Für die SPD befürwortete Jens Rejmann den bündnisgrünen Antrag als Chance, "nachhaltig zu erinnern" und eine Gedenkkultur zu schaffen, "die nicht nur temporär". Joachim Falkenhagen brachte vor, dass die FDP einen eigenen Vorschlag habe, nämlich "Marienstraße", wobei an jene beim Bombenangriff völlig zerstörte und damit aus dem Adressbuch verschwundene Straße erinnert würde. Für die CDU sprach zunächst Joachim Hartig. Er vertrat die Auffassung, dass eine Form wie "Straße des ..." gewöhnlich nur für Ereignisse und Umbrüche genutzt würde, die man rühmen wolle. Insoweit sei im schlimmsten Falle nicht mal auszuschließen, dass sich Neonazis positiv auf eine "Straße des 8. April" beziehen könnten. Das wiederum brachte Bernd Zobel von den Bündnisgrünen sehr auf; er erinnerte an die Stimmen von Bürgern während der Ortsratssitzung, die mit Sprüchen wie "jeder habe nur seine Pflicht getan" - gerade deshalb, also wegen des Problems von alten und neuen Nazis sei die Straßenbenennung nach dem Verbrechen wichtig.
Ein vergleichsweise nachdenklicher Beitrag kam von Wulf Haack (CDU). Er referierte die Geschichte der Entstehung des Mahnmals in den Triftanlagen und bekannte sich zur Notwendigkeit des Erinnerns. Er räumte ausdrücklich Versäumnisse von Politik und Verwaltung ein, denen es erkennbar nicht gelungen sei, das aus seiner Sicht "künstlerisch herausragende" Mahnmal öffentlichkeitswirksam zu verankern. Für die CDU stehe es trotzdem im Zentrum der Erinnerung, man müsse sich Gedanken machen, wie die Wahrnehmung gesteigert werden könne.
Der CDU vorzuwerfen, sie drücke sich vor einer erinnerungspolitischen Verantwortung, wäre angesichts einiger ja durchaus nachvollziehbarer Argumente falsch. Die "Schlachten" der 1980er Jahre sind geschlagen; es gibt einen nationalen Konsens in der Geschichtspolitik, der auch in dem Bekenntnis zur "deutschen Verantwortung" für die Verbrechen des Nationalsozialismus besteht.
Interessanter ist anderes: Erstmals wurde in diesem Jahr offensiv an einer Zweiteilung des Geschehens vom 8. April gearbeitet. Neben die Opfer des Nationalsozialismus traten auch die rund 800 beim Bombenangriff ums Leben gekommenen Celler. Die Bündnisgrünen verstanden ihren Antrag, so Ortsratsmitglied Juliane Schrader, als Symbol der Erinnerung für beide Opfergruppen. Das Abschlussstatement von OB Biermann nahm darauf in gewisser Weise bezug: Am Tag des 8. April 1945, so Biermann, hätten sich zwei schreckliche Vorkommnisse ereignet. Zum einen sei es die Tragödie der unsinnigen Bombardierung von Celle; zum anderen ginge es um das danach stattfindende Verbrechen an den KZ-Häftlingen. Und weiter: Durch die von den Bündnisgrünen vorgeschlagene Straßenbenennung an dem Ort könne das Missverständnis erweckt werden, dass nur der Bombardierung gedacht werde. Die danach im gesamten Stadtgebiet stattgefundene Tragödie werde nicht erfasst und drohe in Vergessenheit zu geraten. - Biermann ist nicht daran gelegen, nur der "Bombenopfer" zu gedenken, was übrigens der FDP-Antrag bedeutet hätte. Dennoch kehrt unwidersprochen eine Form der Relativierung in die Celler Gedenkpolitik ein: Man sieht kein Problem mehr darin, der Opfer aus der Tätergesellschaft in einem mit den Opfern ihrer Verbrechen zu gedenken. (Und den Bombenangriff angesichts der sich in der "Hasenjagd" äußernden Mentalität als "unsinnig" zu bezeichnen, macht nebenbei indirekt die Alliierten zu Tätern.) Gerade vor diesem Hintergrund sollte sich antifaschistische Erinnerungspolitik auf die Eindeutigkeit des Mahnmals in den Triftanlagen beziehen. Denn in der Tat hätte eine "Straße des 8. April" diese Eindeutigkeit vermissen lassen.

Aus: Revista, Nr. 28, September 2005

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