Vor knapp 60 Jahren: Die Reichspogromnacht in Celle

Am 8. November titelte die "Cellesche Zeitung": "Wieder einmal war es ein Jude! - Deutscher Legationssekretär in Paris angeschossen". Im entsprechenden Artikel wurde auch der "Völkische Beobachter", das Zentralorgan der NSDAP, zitiert. Dieser hielt es für evident, "daß das deutsche Volk aus dieser (...) Tat seine Folgerungen ziehen" werde und das Signal für den "Beginn einer neuen deutschen Haltung in der Judenfrage" gegeben sei.

Ankündigung eines spontanen Pogroms

Die seit 1867 erscheinende "CZ" war für den Raum Celle nicht irgendeine Zeitung, sondern besaß dort seit jeher die Meinungsführerschaft. So entsprach der Bericht des Landrats Wilhelm Heinichen - seit 1.5.1933 Parteigenosse - an den Regierungspräsidenten über die Presselandschaft in Celle und Umgebung wohl den Tatsachen: "Die Presse wird im Landkreis Celle zur Hauptsache durch die Cellesche Zeitung, den Celler Beobachter, der zusammen mit der Niedersächsischen Tageszeitung herausgegeben wird, sowie die in Bergen gedruckte Tageszeitung 'Der Bote aus dem ehemaligen Amte Bergen' und deren Kopfzeitung 'Die Hermannsburger Zeitung' vertreten. Sie alle stehen hinter der Regierung und bemühen sich, das Gedankengut des Nationalsozialismuses der Bevölkerung immer näher zu bringen."
Am nächsten Tag machte die "CZ" ihren Standpunkt in einem Artikel über den "Ernsten Zustand vom Raths" deutlich. Ähnlich wie der "VB" kommt sie zu dem Schluß: "Die Empörung des deutschen Volkes über die verübten Attentate wird die Antwort erteilen. Denn es ist klar, daß das deutsche Volk aus dieser neuen gemeinen Bluttat seine Folgerungen zieht. Die Leidtragenden sind dabei die Juden, auch die ausländischen Juden. Das haben sie ihren Rassegenossen im Auslande zu danken, die draußen in der Welt zum Krieg gegen Deutschland hetzen und deutsche Beamte niederschießen."
Zur Illustration der Behauptung von den reihenweise niedergemetzelten deutschen Beamten wird auf derselben Seite unter der Überschrift "Das Maß ist jetzt voll! - Die deutsche Presse über die Konsequenzen für die Juden innerhalb der Reichsgrenzen - Das deutsche Volk fordert Sühne für den neuen jüdischen Meuchelmordversuch" der Fall des zwei Jahre zuvor in Davos (Schweiz) "gefallenen" Nazis und Landesgruppenleiters Wilhelm Gustloff bemüht:
"Beide [vom Rath und Gustloff] sind das Opfer gewissenloser, verbrecherischer und ekelhafter jüdischer Mörder, die ohne festen Wohnsitz, ohne Lust zur Arbeit, verbrecherischen Artinstinkten ihrer Rasse folgend, die Mordwaffe erheben."
An diesem 9.11. fand in Celle auf der Stechbahn im Zentrum Celles eine Feierstunde anläßlich des Marsches auf die Münchener Feldherrnhalle vom 9.11. 1923 und der dabei getöteten "Helden der Bewegung" statt. (Einer dieser "Blutzeugen" war der in Celle geborene Claus von Pape.) Auf dieser Veranstaltung, zu der 1750 Angehörige der NSDAP und ihrer verschiedenen Formationen, eine Ehrenkompanie der Wehrmacht sowie in Massen die BürgerInnen Celles erschienen waren, verlor der Kreisleiter der Partei, Passe, in seiner Gedenkrede - nach Quellenlage - kein Wort über Herschel Grynszpan [Herschel Grynszpan, dessen Eltern aus Deutschland nach Polen deportiert worden waren, hatte v. Rath angeschossen]. Den Höhepunkt und Abschluß der Gedenkveranstaltung bildete um Mitternacht die Vereidigung der SS-Bewerber des Sturmbanns III/17 vor dem Schloß. [Auch andernorts wurde der "Blutzeugen" gedacht, etwa in Garßen, wo der Rechtsanwalt und SA-Obertruppführer Hans-Jürgen Frisius sen. als Vertreter der SA gesprochen hatte.]
Bis zu diesem Zeitpunkt deutete in Celle also noch nichts Sichtbares auf den Pogrom hin.

Der Pogrom

Gegen 2.00 Uhr morgens (10.11.) traf dann in der Geschäftsstelle der SA-Standarte 77 (Mühlenstraße 12) offenbar der Befehl zum Losschlagen ein. Daraufhin wurde die Celler SA alarmiert und aufgefordert, um 3.00 Uhr in Zivil am Feuerwehrgerätehaus in der Bergstraße (Innenstadt, in unmittelbarer Nähe zur Synagoge) anzutreten. Zu diesem Zeitpunkt wurde kein Geheimnis mehr aus dem Anlaß der nächtlichen Mobilisierung gemacht: Die noch verbliebenen jüdischen Geschäfte sollten zerstört und die Synagoge "ausgeräuchert" werden.
Gegen 2.30 Uhr wurde an das Schlafzimmerfenster des Feuerwehr-Gerätewarts geklopft. Fünf oder sechs Feuerwehrleute, die gleichzeitig der SA angehörten, verlangten nach Äxten und Beilen, man wolle die Juden "hochgehen" lassen. Der Gerätewart wollte dieser Forderung jedoch ohne Befehl von oben nicht nachkommen, und so rief er den Wehrführer (Gustav Krohne, s.u.) an, nachdem ihn die SA-Leute dazu gedrängt hatten. Dieser gab die telefonische Weisung, die Garagentore zu öffnen und fügte hinzu, die Leute könnten sich dann ja selbst bedienen ...
Während sich die SA in der Bergstraße sammelte, wurde bei ihrer Geschäftsstelle in der Mühlenstraße ein PKW mit Kanistern und Fackeln beladen. Der Fahrer, Rechtsanwalt Dr. Kurt Blanke, hatte gegen 2.20 Uhr ohne Nennung näherer Einzelheiten telefonisch den Befehl erhalten, gegen 3.00 in Zivil mit seinem Fahrzeug bei der SA-Standarte zu erscheinen. Nach dem Beladen wurde Blanke befohlen, das Material zum Platz Im Kreise zu fahren, wo sich auch die jüdische Synagoge befand. Dort wurde das Material von den bereits wartenden SA-Männern entgegengenommen.
Es war also geplant die Celler Synagoge in Brand zu stecken. Hierzu kam es nicht aufgrund eines Befehls des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, Reinhard Heydrich. Um 1.20 Uhr hatte dieser reichsweit die Anordnung erteilt, daß Brandstiftungen nur vorzunehmen seien, sofern sie keine Gefährdung "deutschen Lebens" oder Eigentums bedeuteten. Dies war aber in Celle der Fall. Die Synagoge war integriert in eine Häuserzeile und in ihrer unmittelbaren Nähe befand sich die Lederwarenfabrik Kluge.
So beschränkte man sich, was die Synagoge betraf, auf Verwüstung. Die Innenräume der Synagoge wurden demoliert, Kult- und Einrichtungsgegenstände flogen auf die Straße und wurden gestohlen - wie etwa die Thorarolle, die in das Celler Bomann-Museum gebracht wurde - oder vernichtet.
Gleichzeitig zur Zerstörung der Synagoge wurden die vier (1933 waren es noch 10) verbliebenen jüdischen Geschäfte verwüstet. Es waren dies:
- das Manufakturwarengeschäft Hellmann in der Mauernstraße,
- das Schuhhaus Salomon in der Poststraße,
- das Modehaus "Hasall" an der Ecke Poststraße / Großer Plan,
- und das Konfektionsgeschäft Wolff in der Zöllnerstraße.
Es wurden jeweils die Schaufenster eingeworfen, das Mobiliar zertrümmert und die Waren auf die Straße geworfen.
Außerdem zündete der Mob die vor dem Konfektionsgeschäft Wolff aufgehäuften Textilien an, so daß dichter Rauch in das Treppenhaus drang und die Familie Wolff in ihrer Wohnung einschloß. Die herbeigerufene Feuerwehr verhinderte - ganz im Sinne der Heydrichschen Anordnung - Schlimmeres.
Ebenfalls vollständig demoliert wurden Wohnung und Praxis des Rechtsanwaltes Dr. Julius von der Wall in der Schwicheldtstraße.
Letzter Akt für diese Nacht war die Zerstörung des jüdischen Friedhofs am Berge. Um 4.30 Uhr fuhren dort zwei Kraftwagen und einige Motorräder vor. Innerhalb einer halben Stunde zerstörten ca. 15 Männer in Zivil mit Beilen Türen, Fenster und Einrichtung der Kapelle.

Der "mutige Feuerwehrmann"

In der Celler Historiographie hat sich lang die Legende des "mutigen Feuerwehrmannes" Gustav Krohne gehalten. Dieser selbst behauptete später, seinem energischen Auftreten sei es zu verdanken gewesen, daß die Synagoge nicht angezündet wurde. Diese Geschichtslüge findet sich schriftlich erstmals bei Hische/Schmidt in der "Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Freiwilligen Feuerwehr Celle 1864 - 1964": "Die 'Kristallnacht' am 8. November 1938 ist kein Ruhmesblatt der deutschen Geschichte, aber es muß hier hervorgehoben werden, daß es in Celle dem damaligen Stadtkreisfeuerwehrführer Krohne zu verdanken ist, daß die in der Synagoge Im Kreise angelegten oder vorbereiteten Brände noch im Keim erstickt wurden, weil G. Krohne kurzerhand erklärte: 'Wenn es hier brennt, kann ich das Feuer nicht auf seinen Herd beschränken, es wird zu einem Brand der ganzen Umgegend kommen.' Durch dieses energische Auftreten sah sich die Partei gezwungen, von ihrem Vorhaben abzusehen."
Die Stadt Celle übernahm diese Version nur allzu bereitwillig in ihren Publikationen. So auch in der "Festschrift zur Wiederherstellung der Synagoge von 1974": "Die Celler Synagoge, vielleicht das älteste noch bestehende jüdische Gotteshaus Deutschlands [...], verdankt ihre Erhaltung in der 'Kristallnacht' am 8. [!] November 1938 der besonnenen und mutigen Haltung des damaligen Stadtkreisfeuerwehrführers Gustav Krohne."
Zu Gustav Krohne ist jedoch anzumerken, daß er NSDAP-Ortsgruppenleiter der Altstadt, also vermutlich den Zielen der NSDAP eher nahestehend war, und daß er die Ausgabe von Äxten und Beilen an die SA veranlaßt hatte (s.o.).
Im übrigen war in Celle nach dem Pogrom hören, daß die Feuerwehr für die Verwüstung der Synagoge verantwortlich war. Der o.g. Heydrich-Befehl (welcher das Inbrandsetzen der Synagoge verbot) hingegen wurde - zumindest offiziell - "vergessen".

Spuren der Zerstörung - Wahrnehmungen der Celler Bevölkerung

Schnell machten die Ereignisse die Runde. Ebensowenig wie der nächtliche Lärm zu überhören war, waren die Spuren der Zerstörung am nächsten Tage zu übersehen: Glassplitter, Schaufensterpuppen, Schuhe und andere Waren lagen vor den jüdischen Geschäften.
Im Laufe des Tages nagelten Stadtbedienstete die Schaufenster mit Brettern zu. Straßenfeger warfen mit der Schaufel Scherben, Dekorationspuppen, Schuhe und Kleider in die Geschäfte zurück.
In die Geschäfte zogen neue Besitzer ein, darunter die ehemalige Konkurrenz. Noch Tage nach der "Kristallnacht" liefen Männer mit verbundenen Händen durch die Stadt - auch angesehene Geschäftsleute.
Über Plünderungen ist nicht viel Näheres bekannt - was nicht heißt, daß nicht zumindest einzelne Privatpersonen die Gelegenheit nutzten, sich auf der Straße liegende Waren anzueignen. Beispielsweise findet sich in "Erlebnisse und Erkenntnisse (..)" von Wilhelm Brese folgender Hinweis: "Als ich beispielsweise morgens nach der Kristallnacht, in der in ganz Deutschland jüdisches Eigentum vernichtet wurde, nach Celle kam, war ich entsetzt. Ich sah auf dem Marktplatz einen großen Haufen brennender Textilwaren. Sie waren aus dem Geschäftshaus Wolf herausgeholt und hier nun verbrannt. Ich fuhr entsetzt zum Vulkanisiergeschäft Guttzeit, um einen Autoreifen abzuholen. Mit Empörung berichtete ich dort von dem Feuer. Da kam ein Lehrling lachend mit einen Ring voller Schlipse und sagte: 'Ich habe für mein Leben genug Schlipse, die habe ich am Feuer gefunden.'" [auch Brese war zwischen 1933 und 1945 kein Oppositioneller, auch wenn sich der "langjährige Bundestagsabgeordnete" der CDU verständlicherweise - wie andeutungsweise in diesem Zitat - gerne als solchen darstellt. Im Bundestag setzte er sich für einen raschen "Schlußstrich" - sprich: Straferlaß für N"S"-Verbrecher – ein.] Gemäß eines Befehls von RFSS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, waren Plünderungen aber ohnehin zu verhindern und Plündernde zu verhaften, schließlich lautete die Vorgabe auf Inszenierung eines ungelenkten, aber disziplinierten Pogroms und der wirtschaftliche Nutzen war für den NS-Staat vorgesehen.
Die Beobachtungen des Celler Ingenieurs und Zeitgenossen Karl Dürkefälden [Karl Dürkefälden wurde am 12.04.1902 in Peine geboren und starb am 24.10.1976 in Celle. Von 1934-1967 arbeitete er als Ingenieur bei der "Celler Maschinenfabrik". Dürkefälden schrieb ein Tagebuch über den (Celler) Alltag im 3.Reich. Auszüge daraus sind nachzulesen in: Herbert u. Sibylle Obenaus: "Schreiben, wie es wirklich war ..." Aufzeichnungen Karl Dürkefäldens aus den Jahren 1933 - 1945, Hannover 1985] zur Reichspogromnacht waren Folgende:
 

"Am Morgen des 10. November 1938 hatte ich es wie oftmals sehr eilig, leider: Es war viertel vor Acht Uhr. Ich kam hinter der [Celler] Stadtkirche vorbei, sah in der Zöllnerstraße, Ecke Poststraße, einen Menschenauflauf. Fragte ein daherkommendes Schulmädchen, was da los sei. 'Bei Wolff liegen die ganzen Sachen draußen.' Ich wollte zurücklaufen, tat es leider der knappen Zeit wegen aber nicht. Sah noch ein schadenfrohes Gesicht, hörte Worte, an der Ecke läge auch alles auf der Straße, hätten aber ganze Arbeit gemacht."

"Als ich nach 5 Uhr nachmittags aus dem Geschäft kam, waren alle jüdischen Schaufenster mit Brettern zugenagelt, man konnte nur noch erkennen, daß auch nicht die kleinste Nebenscheibe geschont war."

"Unser Betriebsleiter [Hildebrandt] war vor 7 Uhr durch die Stadt gefahren. Die Schuhe lagen bei Salomon auf der Straße zwischen den Geleisen [der Straßenbahn]. Die angezogenen Puppen (Figuren), die bei Hasall auf dem Fußweg lagen, hätten in der Dämmerung gewirkt wie Leichen.
Der Modelltischler Niemann kam mit seinem Rade etwa um die gleiche Zeit durch die Bergstraße, erzählte, daß bei Neumann [ein Geschäft "Neumann" gab es nicht; vermutlich meinte Dürkefälden die Hellmannsche Manufakturwarenhandlung, die in der Bergstraße noch ein kleineres Ladenfenster hatte] ebenfalls die Sachen auf der Straße lägen und die Leute sich was heraussuchten, während bei Salomon ein Schupo stand. Wie ein Lauffeuer ging das durch die Stadt; von Mund zu Mund und per Telefon hatten sich die Frauen unterrichtet, die nun in die Stadt gingen, um sich die Sachen anzusehen. Bei Wolff konnte man ganz durchs Haus gucken, alles zertrümmert. Die Ärmel waren aus den Kleidern gerissen, die Kragen und so auf die Straße. Die Stoffballen mit der Spitzhacke geschlagen und ebenfalls auf die Straße geworfen, die nachher noch die Mittelschüler - die Mittelschule liegt in der Nähe - fast die ganze Straße entlang abrollten.
Gerda ist bei ihren Kindern zu Hause geblieben, nicht aber unsere Nachbarinnen. So hatte Frau Hoffmann bei Wolff gesehen, wie ein Schutzmann ein paar Frauen mitnahm, weil sie gesagt hatten: 'Was sollen nun bloß die armen Menschen machen?'
Es hat sich bald herausgestellt, daß das Volk größtenteils keinesfalls damit einverstanden war, wenn auch Goebbels nachher propagiert hat, das deutsche Volk hätte sich Luft gemacht."

"Und das soll nicht organisiert gewesen sein? In Celle ist es die Feuerwehr mit ihren Schlagwerkzeugen gewesen, darunter ein Geheimpolizist, wie Hildebrandt wissen wollte, der immer gut informiert ist. Die Sachen haben zur Ansicht auf der Straße gelegen, am hellen Morgen, und die Straßenfeger haben die schönen Schuhe, die zwischen leeren Kartons auf der Straße lagen, auf die Schaufel genommen, und so wie Dreck wieder bei Salomon ins Fenster geworfen. (Daß der Stoff fast die ganze Zöllnerstraße entlang abgerollt wurde, habe ich mir von einem 13jährigen Mädchen aus der Weinstraße [dort wohnte D.] nochmal bestätigen lassen, hatte es aber auch nicht gesehen.)"

"Auch in Celle hat die Polizei das Fotografieren verboten. 'Gehen sie mit ihrem Fotoapparat da weg' wollen welche gehört haben."

Die Propaganda vom "disziplinierten Pogrom"

Ganz der Linie vom disziplinierten Pogrom entsprechend und im übrigen recht kurz meldete die "CZ" (schon!) am 10.11. auf Seite 5: "Judenfeindliche Demonstrationen in Celle - Ausdruck des spontanen Abscheus gegen die jüdischen Meuchelmörder. Nachdem gestern nachmittag die Nachricht vom Ableben des Gesandtschaftsrates vom Rath die Stadt durcheilt hatte, bemächtigte sich der Bevölkerung eine tiefe Erregung gegen die jüdischen Mordbuben. In den Nachtstunden fanden Demonstrationen der Bevölkerung gegen die jüdischen Ladengeschäfte statt, deren Schaufenster und Auslagen demoliert wurden. Wiederum zeigte sich die gute Disziplin in unserer Bevölkerung, die Plünderungen vermied. Die Polizei stellte sich als Wache vor den geöffneten Geschäften auf."
Obgleich nach einer Meldung Heydrichs an Göring vom 11. November während der Pogrome insgesamt 20.000 Juden festgenommen, 191 Synagogen niedergebrannt und 76 vollständig demoliert sowie 815 Geschäfte verwüstet wurden - und dieses noch nicht das vollständige Ausmaß der Zerstörungen erfaßt - mußte Dürkefälden feststellen: "So fand ich nirgends geschrieben, daß eine Synagoge gebrannt hat und dabei verloren ging. Unsere Zeitung, die N[iedersächsische] T[ages] Z[eitung], die in Hannover gedruckt wird und die hier mit einer Beilage 'Celler Beobachter' herauskommt, brachte am 10. November in diesem 'Celler Beobachter' nur eine ganz kurze Notiz über die Celler Vorfälle, ganz unauffällig."
Diese Darstellung täuschte nach der Interpretation des Leiters des Celler Bomann-Museums Mijndert Bertram niemanden, und die Aktion sei überwiegend auf Mißfallen, wenngleich auch nicht auf Protest oder gar Widerstand seitens der Deutschen gestoßen, was dieser unter anderem mit den Aussagen Karl Dürkefäldens "belegt". Ein dürftiger Beleg. [Auch der Arisierer Dr. Kurt Blanke hatte sich betreffs Reichspogromnacht einige Geschichten ausgedacht und sich pseudokritisch zu dieser Maßnahme geäußert - etwa im "CZ"-Gespräch mit Michael Rothfuchs (als Chefredakteur) und Dr. Mijndert Bertram (siehe "CZ" vom 07.01.1995). Genaueres hierzu in einer der nächsten "publiz"-Ausgaben.

Die Deportationen und die offizielle Beendigung des Pogroms

Nicht vom Pogrom zu trennen sind die anschließenden Massendeportationen, die auch die Celler JüdInnen betrafen. Im Verlauf des Vormittags wurden bis auf versehentliche Ausnahmen alle jüdischen Männer und männliche Jugendliche festgenommen und in das Polizeigefängnis in der Bergstraße und das Gerichtsgefängnis eingeliefert. Am darauffolgenden Tage übergab man die Männer der STAPO-Stelle Lüneburg in Hamburg-Harburg, die sie zum KZ Sachsenhausen weiterleitete. Verschont wurde lediglich der fast 78jährige pensionierte Oberpostsekretär Iwan Dawosky.
Am selben Tag wandte sich Reichspropagandaminister Dr. Joseph Goebbels über die Medien, also auch die "CZ", an die Bevölkerung. Deutlich plaziert auf der Titelseite stand:

"Die berechtigte und verständliche Empörung des deutschen Volkes über den feigen jüdischen Meuchelmord an einem deutschen Diplomaten in Paris hat sich in der vergangenen Nacht in umfangreichem Maße Luft verschafft. In zahlreichen Städten und Orten des Reiches wurden Vergeltungsaktionen gegen jüdische Gebäude und Geschäfte vorgenommen.
Es ergeht nunmehr an die gesamte Bevölkerung die strenge Aufforderung, von allen weiteren Demonstrationen und Aktionen gegen das Judentum, gleichgültig welcher Art, sofort abzusehen. Die endgültige Antwort auf das jüdische Attentat in Paris wird auf dem Wege der Gesetzgebung bzw. der Verordnung dem Judentum mitgeteilt werden."

Damit war die Berichterstattung zu diesem Thema für die "CZ" erledigt.

Aus: Publiz. Politik und Kultur aus Celle, Nr. 29, April/Mai, 1998